Schweigegeld -

Erleben Sie ein nächtliches Abenteuer!

 

Derzeit unterzieht sich das Manuskript dem Lektorat. Der Text der nachfolgenden Leseprobe mag daher nicht der endgültige sein.

 

 

Schweigegeld

 

Leberechts zweiter Mord

 

Michael Kothe

 

Kriminalroman

 

 

telegonos-publishing

 

 

...

 

Irgendwann schliefen Leberecht die Beine ein. Um inmitten metallener Kleinteile kein Geräusch zu verursachen, getraute er sich nur, kleine Bewegungen und isometrische Übungen zu machen. Doch auch die stellte er bald ein, da ihm das Rasseln des Schüttguts in der Stille der Halle verräterisch laut vorkam. So streckte er sich erst und setzte sich bequem hin, nachdem er beobachtet hatte, wie Schorsch einen letzten Rundgang durch die Halle machte, die Ladestation von Gabelstapler, Palettenhubwagen und Reinigungsmaschine überprüfte, das Licht ausknipste und die Halle durch das Rolltor verließ. Auch als der Lagerleiter das Rolltor von außen herabsenkte, blieb Leberecht noch lange sitzen. Endlich hörte er den Motor von Schorschs altem Dreier BMW röhren, einem Klassiker der frühen Achtzigerjahre, dem er regelmäßig seine Wochenenden widmete und dem er kürzlich einen Resonanzauspuff spendiert hatte. Wortgewaltig hatte er jedem mehrmals davon berichtet, egal, ob der das hören wollte oder nicht. Als das Dröhnen sich entfernt hatte, kletterte Leberecht aus seinem Versteck, zog die Tür zur Besenkammer auf und verschwand. Ein Blick auf sein Smartphone signalisierte ihm die Uhrzeit: nach 19 Uhr. Jetzt ist höchsten noch der Mair-Lopez im Haus, sagte er sich. Schauen wir doch einfach mal nach! Durch einen Spalt lugte er ins Treppenhaus, sah Mair-Lopezs Parkplatz vor dem Eingang verwaist und die Gitter herabgelassen. Beinah euphorisch drückte er die Tür zum Treppenhaus auf und trat in den Eingangsbereich. Dass er an dieser Stelle von der Überwachungskamera über ihm nicht erfasst wurde, hatte er bei seiner Entdeckung der Besenkammer  erkundet.

Bevor er die Kammer verließ, griff er einen Putzlappen vom Stapel im Regal und wischte gründlich den Staub von seinen Schuhsohlen. Auch wenn er damit rechnete, dass  sein Besuch in den Büros unbemerkt bleiben würde, wollte er doch vorbeugend verräterische Spuren vermeiden. Aus seinem Rucksack holte er einen Teleskopstab hervor, befestigte daran eine postkartengroße Mattscheibe aus halbtransparentem Kunststoff und hängte sie, nachdem er den Draht daran passend gebogen hatte, vors Kameraobjektiv. Wenn er nun langsam ging, bliebe seine Bewegung im Halbdunkel unbemerkt.

Er war allein und hatte das ganze Wochenende vor sich!

Es überfiel ihn wie ein Schock, kalt lief die Gänsehaut über seinen Rücken: Berti! Unser Freitagabendbier! Sicherlich sitzt er schon in unserer Eckkneipe und wartet ungeduldig. Wenn ich mich jetzt entschuldige, ist das unverfänglicher, als wenn er mich später fragt, warum ich ihn versetzt habe.

»Hallo, Berti«, krächzte er ins Mikrophon, als sein Freund das Gespräch annahm, »nimmst du‘s mir übel, wenn ich dich dein Bier heute allein trinken lasse?«

»Nicht unbedingt. Was fehlt dir? Du klingst nicht gesund.«

»Wohl ‘ne Sommergrippe. Habe mich die letzten beiden Tage zu sehr angestrengt. Musste zwei Jugendlichen durch die Stadt nachhetzen, weil der Vater meinte, sie wollten sich Hasch und Alkohol besorgen.«

»Und – haben sie?«

»Das nicht, aber folge mal zu Fuß zwei Skateboardfahrern! Auch wenn die in der Stadt nicht so schnell vorankommen. Zum Glück haben sie an jeder zweiten Ecke einen Klamottenladen aufgesucht. Ich bin dann mit offenen Fenstern heimgefahren und hab mir durch den Fahrtwind die Erkältung geholt.«

»Dann bleib zu Hause und besser dich! Ich trinke für dich mit, und du zahlst.«

Leberecht sah vor seinem inneren Auge den Freund zwinkern. Er war erleichtert: Diese Klippe war umschifft.

Nachdem er sein Smartphone wieder in der Tasche verstaute, schlich er die Treppe hinauf. Sicherheitsvorkehrungen hatte er hier oben bei seinem Vorstellungsgespräch nicht entdeckt. Dementsprechend ungezwungen fühlte er sich. Einziges Manko war, dass er keine Zeit gehabt hatte, eventuelle Streifengänge oder Kontrollbesuche durch Sicherheitsfirmen zu erkunden. So prüfte er als erstes die Damen- und die Herrentoilette, beide fand er wie erwartet unverschlossen. Notfalls mussten sie als Versteck herhalten. Alle vier Bürotüren in diesem Stockwerk waren mit einem handelsüblichen Zylinderschloss ausgestattet, und sie gingen nach innen auf. Für Mair-Lopezs Büro schränkt das den Zugang wohl auf eine einzige Tür ein, denn wer weiß, was ich im Büro umwerfe, wenn ich die anderen öffne! Diese einzige Tür war geschlossen, aber das stellte Leberecht vor keine Herausforderung. Aus seinem Rucksack kremte er ein Etui so groß wie eine Zigarettenschachtel, aber nicht einmal halb so dick. Mit zwei Fingern massierte er sein Kinn. Mit welchem Werkzeug bekomme ich ein Schloss dieses Herstellers am schnellsten auf? Als er sich entschieden hatte, entnahm er dem Etui zwei schlanke, fingerlange Stäbchen aus gehärtetem Stahl. Über- und nebeneinander führte er die wie abgeflachte Häkelnadeln aussehenden Häkchen in den Schließzylinder und stocherte darin herum. Den Ausdruck meinte er ironisch, denn das Tasten nach den Kern- und Gehäusestiften und deren Herunterdrücken gegen die Stiftfedern erforderte Fingerspitzengefühl und reichlich Geduld. Nacheinander gesellte er zwei weitere Häkchen hinzu und hielt die vier Zuhaltungen gedrückt, bis er mit allen Häkchen gleichzeitig den Schließbart drehen konnte. Mit der freien Hand drückte er die Klinke herunter, und die Tür war offen.

Zuerst nahm sich Leberecht die Papiere vor, denn seine Computerkenntnis beschränkte sich auf die einfachen Anwendungen: die Internetsuche für seine Recherchen, Bildbearbeitung für das „Aufhübschen“ seiner Observierungsfotos und ein Office-Programm für Korrespondenz, Rechnungen und für seine vereinfachte Buchhaltung als Kleinunternehmer. Bei komplizierteren Anforderungen versicherte er sich gern Yvonnes Hilfe, die sich bezüglich der IT sehr versiert gezeigt hatte.

Mehr aus Neugierde hob er die Schreibtischunterlage an, sein breites Grinsen war ein stummes Lob an Mair-Lopez, denn der hatte keinen Zettel mit dem Kennwort für seinen PC dort platziert. So trat Leberecht an die Regalwand und studierte die Ordnerrücken. 

 

...

 

Lichtkegel erleuchteten plötzlich den Hof. Leberecht sah schräg aus dem Fenster nach unten. Sch…! Ein Kleinwagen mit dem seitlichen Aufdruck „Security“ und einem Firmenlogo fuhr in sein Blickfeld. Er beobachtete, wie das Fahrzeug vor dem Eingang hielt und wie zwei Männer in dunkler Uniform ausstiegen. Mit Stablampen leuchteten sie in die Eingangshalle. Die Mattscheibe! Siedend heiß fiel sie ihm wieder ein. Demnach hatte die Sicherheitsfirma online und in Echtzeit Zugriff auf die Kameras ihrer Kunden.

 

»Nun schließ schon auf!«, reimte sich Leberecht zusammen, als er durch die geöffnete Lüftungsklappe über dem Fenster undeutlich die laute Stimme eines der Wachleute hörte. Hastig trat er vom Fenster fort, stopfte den Stapel Schnellhefter wieder in den Rollcontainer, schloss ab und schob den Schlüssel zurück in die hintere Ecke der Schreibtischschublade. Als er das Geräusch des hochfahrenden Rollgitters vor dem Eingang hörte, griff er den zuletzt gefundenen Schnellhefter und das Notizbuch. Andere Spuren als das Fehlen dieser beiden Gegenstände würde er nicht hinterlassen, wenn er jetzt fluchtartig das Büro verließ. Die Bürotür musste er unverschlossen lassen, er hoffte, Mair-Lopez würde das auf seine eigene Nachlässigkeit zurückführen. Dass die Toilettenräume ihm eine sichere Zuflucht böten, konnte er nur hoffen. Schon hatte er die Hand auf der Klinke, als ihm sein Rucksack einfiel, und er rannte zurück. Sekunden später drückte er geräuschlos die Tür der Damentoilette ins Schloss. Das über einen Bewegungsmelder eingeschaltete Licht würde seine Anwesenheit verraten, sobald die Wachleute den Vorraum betraten. Daran hatte er nicht gedacht. Andererseits ermöglichte ihm das Licht eine schnelle Orientierung, und so kauerte er Augenblicke später reglos in einer als Lagerraum für Büromaterial zweckentfremdeten Kabine auf der Toilettenschüssel hinter einem mannshohen Stapel Kartons mit leeren Ordnern. Er war zur Untätigkeit verdammt und ständig in Gefahr, entdeckt zu werden. Wann und wie er das Gebäude an den Security-Leuten vorbei verlassen könnte, stand in den Sternen.

 

...